Herr Wulff, wie viel Kreislaufwirtschaft ist schon heute bei Bauprojekten möglich?
Das Bauen mit R-Beton ist mit einem Anteil von bis zu 45 Prozent im Neubauplanerisch und technisch sehr gut machbar. In Berlin und auch anderen Teilen Deutschlands gibt es bereits eine erste Infrastruktur für Logistik- und Aufbereitungsprozesse. Mit einem Anteil von etwa einem Prozent R-Beton im Hochbau befinden wir uns mit der Kreislaufwirtschaft allerdings noch in den Anfängen.
Sie haben 2023 ein Pilotprojekt gestartet, ein Schulgebäude mit 1.600 Quadratmetern BGF in Hamburg, bei dem Sie eine eigene Betonrezeptur verwendeten. Im Februar 2024 war der Rohbau fertigstellt. Weshalb brauchte es hier eine eigene Betonmischung?
Es gibt wenige Pilotprojekte, die mit innovativen Betonmischungen jenseits der Normen arbeiten. Ziel von neuen Rezepturen ist es, möglichst viel recyclefähiges Material zu verwenden und dennoch eine hohe Qualität und Festigkeit des Betons herzustellen. Uns ging es darum, die Materialien der in und um Hamburg verfügbaren Abbruchobjekte fachgerecht nutzen zu können. Mit Standardrezepturen lässt sich das nicht verwirklichen. Bei dem Schulprojekt sind ca. 100 Kubikmeter innovativer Recycling-Beton verbaut und etwa 600 Kubikmeter in genormter Mischung in der Sohle, den Wänden und Decken. Der Anteil aus unserem Labor, der „Hamburger Mische“, liegt damit bei ca. 14 Prozent. Wir planen noch ein weiteres Großprojekt mit R-Beton in Hamburg-Wilhelmsburg.
Der innovative R-Beton ist Ergebnis eines Forschungsprojektes?
Ja, wir haben vier Jahre intensiv in dem internationalen EU-Projekt CIRCuIT (Demonstrating systemic urban development for circular and regenerative cities) mitgearbeitet, um die Wiederverwertung von Materialien weiterzuentwickeln. An dem EU-Projekt nahmen außer der Hansestadt Hamburg auch die Städte Kopenhagen, Helsinki und London teil. In Hamburg haben wir uns auf Recyclingbeton konzentriert. Zum Forschungsteam gehörten unter anderem die TU Hamburg, Otto Dörner und Eggers Tiefbau.
Wie wurden die Forschungen betrieben?
Wir haben eigene Versuchsreihen erstellt, verschiedene Zusammensetzungen von Beton untersucht und einen Musterbau errichtet, die „Musterbude“, in der wir sechs Produktsorten von einsatzfähigem R-Beton zeigen. R-Beton steht den meisten herkömmlichen Betonen an Festigkeit, Tragkraft, Verarbeitung und auch visuell in nichts nach.
Welche Chancen bietet der R-Beton?
Rohstoffe wie Sand und Kies, die für das Bauen geeignet sind, gibt es weltweit nur begrenzt. Auch die Preise für das Naturmaterial steigen weiter an. Deshalb ist die Wiederverwertung von Beton im Hochbau eine Chance, die Ressourcen zu erhalten. Wir sind überzeugt, dass der R-Beton ein wichtiger Teil der Lösung für ein ressourcenschonendes Bauen ist, besonders in Kombination mit den „CO2-neutralen“ Ansätzen.
Was sind die Probleme, die es bei der Wiederverwertung von Beton gibt?
Ein Problem sind die bislang starren Normvorschriften. Zwar wurde die DIN 1045 Betonnorm aktuell in Bezug auf R-Beton noch erweitert, aber das System ist nach wie vor zu unflexibel. So weist Abbruchmaterial nicht nur regionale geologische Unterschiede auf, es stammt in der Regel auch aus unterschiedlichen Bauwerken. Das bedeutet, dass Gesteinskörnungen und Bestandteile, die dem Beton beigemischt sind, oft erheblich voneinander abweichen.
Hinzu kommt, dass die Herstellung von R-Beton aufwendiger ist als die Verwertung von Sand und Kies. Der R-Beton kostet etwa in unserem Pilotprojekt 13,00 € pro Kubikmeter mehr als der „normale Beton“, das sind rund 10 % Mehrkosten. Ein weiterer Aspekt ist, dass regional oft weder eine Infrastruktur für den Abbruch bis zur Auslieferung vorhanden noch ausreichend Abbruchmaterial verfügbar ist.
Welche Gebäude sind als Abbruchmaterial geeignet?
Am besten eignen sich Objekte, die vor 1990 gebaut sind. Die Konstruktion des Gebäudes muss so sein, dass sich die Materialien sortenrein abbauen lassen. Solche Häuser gibt es aus den 50er bis 70er Jahren in großer Masse. Auch Brücken oder Hallen- und Logistikbauten sind geeignet. Mit den Neubauten der letzten 20 bis 30 Jahren wird es hingegen schwierig.
Warum sind die hohen Anforderungen an Neubauten in Hinblick auf die Nachhaltigkeit und Kreislaufwirtschaft problematisch?
Weil man unter den Vorgaben einer höheren Energieeffizienz und Nachhaltigkeit viel mit Kleb- und Verbundstoffen gearbeitet hat, die eine sortenreine Trennung der Baustoffe unmöglich machen. Ein Zielkonflikt: Einerseits möchte man Ressourcen erhalten, andererseits werden zunehmend Materialien und Technologien verbaut, die teils umweltschädliche Stoffe beinhalten wie Styropor oder Frostschutzmittel. Wir müssen deshalb insgesamt anfangen, wieder einfacher zu bauen.
Welche konkreten Vorteile ergeben sich für den Bauherrn?
Mittelfristig wird der R-Beton die Verfügbarkeit von hochwertigen regionalen Baustoffen erhöhen. Im Rahmen der DGNB-Zertifizierung wird der Einsatz von R-Beton positiv bewertet, auch erste Förderprogramme berücksichtigen die Verwendung von R-Beton. Als erste Stadt in Deutschland hat Berlin zudem eine Beschaffungsverordnung festgesetzt, nach der R-Beton in öffentlichen Neubauten zu verwenden ist.
Wie sehen Sie die Zukunft des R-Betons?
Wenn man den Einsatz von R-Beton mit einer konsequenten Materialreduktion verbindet, sehe ich großes Potenzial. Digitale Prozesse wie BIM werden das Recycling durch genaue Mengen- und Materialdaten befördern und effizient machen. Für die Investition in eine Kreislaufwirtschaft ist es jedoch wichtig, dass gesetzliche Vorgaben auf 20 bis 25 Jahren ausgelegt sind und verlässlich gelten. Außerdem bin ich überzeugt, dass man auch mit weniger Material- und Technikeinsatz nachhaltig bauen kann und zugleich wirtschaftlicher als es zurzeit der Fall ist.