Büroimmobilien – was steckt hinter den Trends?

Die Corona-Krise hat die Bürokonzepte verändert. Inwiefern, erläutern Burkhard Remmers, Wilkhahn-Kommunikationschef, und Trendexpertin Birgit Gebhardt.
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Moderne Bürogebäude werden zunehmend nach regenerativen Gesichtspunkten konzipiert und besonders seit Corona sind ‚gesunde Flächen‘, ‚Wellbeing‘ und ‚Human Centered Office‘ ein Thema. Wie ist das einzuordnen?

Remmers: Inzwischen gibt es international ein Gebäude-Rating, das so genannte ‚Well-building‘, bei dem es darum geht, Qualitäten wie Gesundheit und Wohlbefinden mit dem Gebäude und dem Arbeitsplatz in Verbindung zu bringen. Vor Corona wurde das belächelt, aber die Pandemie hat den Aspekt der ‚Gesundheit am Arbeitsplatz‘ noch einmal erheblich forciert – einen ohnehin nicht ganz nebensächlichen betriebs- und volkswirtschaftlichen Faktor. Denn Krankheitsausfälle von Mitarbeitern sind teuer. Neben physiologischen Erkrankungen haben sich zudem seit Jahren die psychischen Belastungen stetig erhöht.

Gebhardt: Ja, die hybride Arbeitswelt mit stundenlanger Bildschirmaktivität und Erreichbarkeit auf zahlreichen Kommunikationskanälen erhöht den Stressfaktor. Auch Demographie spielt eine Rolle. Vier Generationen sind heute in den Büros, und nicht nur für die Älteren werden gesundheitliche Fragen entscheidend. Je reduzierter die Adressierung der Sinne in der virtuellen Arbeitswelt, umso wichtiger ist – als Gegenpol – der physische Kontext, die Atmosphäre, das Wohlbefinden.

Was bedeutet das für die Immobilienwirtschaft?

Gebhardt: Dass die Büros ihren professionellen Vorsprung neu definieren müssen. Die Nachfrage hat sich zu den Endnutzern hin verschoben. Ihre Frequenz zeigt, ob das Angebot ihre Erwartungen erfüllt. Und das tut es scheinbar weniger als gedacht. Der Zentrale Immobilien Ausschuss ZIA muss erkennen, dass die Mietdauer bei Büroflächen deutlich gesunken ist. Lag sie in den 90er-Jahren noch bei 10-20 Jahren, reduzierte sie sich ab 2000 auf 7 Jahre. Bereits vor Corona, 2019, sank sie auf 4,5 Jahre. Seit Corona werden weniger Flächen neu angemietet und ein Drittel der Unternehmen denkt über eine Verkleinerung der Räumlichkeiten nach. Der ZIA empfiehlt hohe Flexibilität bei der Vermietung und offene Nutzungen. Das klingt, als sei man offen für alles, lässt aber eine Vorstellung von dem vermissen, was die Mitarbeiter im Büro wirklich unterstützen würde.

Remmers: Gleichzeitig sehen sich viele Firmeninhaber mit der Frage konfrontiert, wie sie ihre Mitarbeiter wieder zurück ins Office holen können. Technologische Standardisierung und hybrides Arbeiten sind für Mitarbeiter keine besonderen Angebote mehr, denn sie werden inzwischen von allen genutzt. Im Gegenteil, zu viel Homeoffice verarmt die Corporate Culture, macht die Unternehmen kaum unterscheidbar. Das lässt sich auch daran ablesen, dass die Loyalität der Mitarbeiter drastisch abgenommen hat, die Fluktuation ist hoch.

Die Digitalisierung schadet den Unternehmen?

Remmers: Teilweise schon. Teambildung und der Austausch von Firmenwissen gehen verloren. Lernen und Weiterentwicklung sind eingeschränkt. Insofern braucht es eine ‚Human Centered Prospective‘, die den Menschen zum Ausgangspunkt der Unternehmensentwicklung macht.

Lässt sich eine ‚Human Centered Prospective‘ auf die Büroimmobilien wirklich übertragen und wo liegt hier der Nutzen?

Remmers: In einer auf Wissen basierenden Wirtschaft sind die sozialen Qualitäten der Gebäude das Kernthema der Zukunft. Ein Human Centered Workplace stellt den Nutzer konsequent ins Zentrum der Betrachtung und schafft eine räumliche Umgebung, die dieser aktiv nach den eigenen Bedürfnissen ‚gebrauchen‘ und gestalten kann. Das fängt beim ergonomischen Bürostuhl an und reicht bis zur multifunktionalen Raum- und Gebäudeplanung. Hier muss sich das Setting jederzeit an den Nutzer anpassen lassen und nicht umgekehrt. Als übergreifendes Konzept bedeutet ‚Human Centered‘, vier verschiedene Betrachtungsebenen in die Bürokonzepte einzubeziehen, die vom Besonderen, dem Individuum, bis ins Allgemeine reichen: vom ‚Wellbeing‘ des Einzelnen über die Zusammenarbeit der Teams und die Corporate Identity bis zu übergeordneten Zielen wie Nachhaltigkeit. Dieser Ansatz entspricht letztlich auch den ESG-Kriterien.

Ist das nutzerzentrierte ‚Human Centered Office‘ ein wirtschaftliches Konzept?

Remmers: Für den gewerblichen Mieter ist es wirtschaftlich interessant wegen potenziell weniger Ausfallquoten durch Erkrankung, einer besseren Performance und mehr Engagement sowie wegen einer einfacheren Personalgewinnung und­ ­-bindung. Hier braucht es attraktive Angebote. Die Qualität des Arbeitsortes ist der wesentliche Differenzierungsfaktor und wird künftig eine größere Rolle spielen als die klassische Flächeneffizienz. Die höhere Produktivität dürfte eventuelle Mehrkosten deutlich kompensieren. Man kann konservativ von mindestens zwei Prozent Produktivitätssteigerung ausgehen. Gemessen an den Personalkosten ist das ein gewaltiger Hebel.

Das bedeutet somit höhere Investitionskosten für die Projektentwicklung?

Gebhardt: Ja, denn Homeoffice und virtuelle Zusammenarbeit zwingen das Büro, einen eigenen Asset auszubilden. Früher genügten Bildschirmarbeitsplätze und Sharingraten zur Flächeneffizienz. Jetzt geht es um die Effizienz der Nutzer und die dafür nötige Qualität auf der Fläche. Und die ist nicht mehr nur Sache des Mieters, sondern verlangt auch nach einer stimulierenden Architektur. Nette Dekoration hat jeder zuhause, vom Büro erwarte ich, dass es meine Wirksamkeit erhöht.

Wie sollte ein solches ‚Human Centered Office‘ aussehen?

Gebhardt: In Zukunft sind wir die Natürliche Intelligenz neben der Künstlichen. Die KI braucht kein Büro, aber Menschen sind sensitive, soziale und auch territoriale Wesen, die zu fokussiertem Denken, geselligem Wissensaustausch oder kreativer Diskussion angeregt werden wollen. Das leisten kulturell gelernte Settings oder Arbeitssituationen, zu denen uns das Verhalten anderer einlädt: im Lesesaal einer Bibliothek, wo wir uns unweigerlich der konzentrierten Ruhe anpassen und direkt in den beabsichtigten Arbeitsmodus kommen. Und Erkenntnisse aus der Neuroforschung, Psychologie und Kognitionswissenschaft zeigen, wie sehr uns natürliche Umgebungen, Pflanzen oder Lichtwechsel anregen.

Was wäre denn bei einer multifunktionalen Raumaufteilung zu beachten?

Gebhardt: Die Abkehr vom Uniformen. Mehr Vielfalt über unterschiedliche Deckenhöhen  und Lichtverhältnisse. Multiperspektive über Galerien und Sichtachsen. Unser evolutionäres Gedächtnis favorisiert Schutz im Rücken und Ausblick nach vorn – Ade Open Space! Vieles, was bisher unter Sonderfläche lief, wird heute Raum für Begegnung und kreative Kollaboration. Letztere braucht Vertrauen, was neben der physischen Nähe auch Wärme und gedämpftes Licht transportieren. Firmen ergänzen ihre gastronomischen Flächen mit Meeting- und Besprechungskojen. Auf den Etagen erweitern sich Teeküchen zu zentralen Bars, an die sich Präsentations- und Workshopflächen anschließen. Wie bei einem Stadtplan finden sich Räume für Rückzug und Konzentration eher an den Rändern, weitab vom Marktplatz.

Welche ökonomischen Potenziale sprechen für die ‚Human Centered‘-Ansätze?

Gebhardt: Die Immobilienbranche ist eine der letzten, die Kundenorientierung nur B2B denkt. Im Fachkräftemangel entscheiden aber die Mitarbeiter als Endnutzer. Spätestens wenn deren Smartwatches die Fakten zu ihrer Performance messen und mit den vorgefundenen Örtlichkeiten abstimmen, gewinnt das Human-Centered-Office.

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Büro-Projekte, die sich mit diesem Ansatz auseinandersetzen, können Sie hier ansehen.