„Digi­ta­ler Over­kill“? – Auf den rich­ti­gen Mix kommt es an…

Wie so oft im Leben gilt auch in der Bau- und Immo­bi­li­en­wirt­schaft: Ein ein­fa­ches Schwarz oder Weiß gibt es nicht. Denn weder digi­ta­le Ent­halt­sam­keit noch der Elek­tro­nik-Over­kill brin­gen Ent­wick­ler, Bestands­hal­ter und Nut­zer wei­ter. Viel­mehr ent­schei­det der rich­ti­ge Mix dar­über, ob ein Pro­jekt zum Erfolg oder Miss­erfolg wird. Nach­hal­ti­ge, zukunfts­fä­hi­ge Lösun­gen inte­grie­ren sowohl digi­ta­le als auch ana­lo­ge Aspek­te. Denn nur die Ver­bin­dung aus Erfah­rung, Tools und Inno­va­tio­nen ermög­licht es, effi­zi­en­te Pro­zes­se zu ent­wi­ckeln und so eine opti­ma­le Ren­di­te sicher­zu­stel­len.
Stef­fen Szeidl
©Drees & Som­mer
Stef­fen Szeidl ist Vor­stands­mit­glied der Drees & Som­mer SE

Was die Zukunft der Bau- und Immo­bi­li­en­wirt­schaft betrifft, sind sich alle Bran­chen­teil­neh­mer einig: Sie ist vor allem digi­tal. Kri­ti­ker bemän­geln jedoch, dass in der heu­ti­gen Rea­li­tät die meis­ten Bau­pro­jek­te so ana­log wie eh und je ablau­fen. Daher lohnt es sich zunächst zu hin­ter­fra­gen, was hin­ter die­ser Wahr­neh­mung des digi­ta­len Still­stands steht und inwie­weit er über­haupt zutrifft.

Smar­te Bau­vor­ha­ben – den Lebens­zy­klus im Blick

Grob glie­dert sich ein Bau­vor­ha­ben in drei Pha­sen – Pla­nung, Bau und Betrieb. Ins­be­son­de­re in der Pla­nung gibt es eine gewal­ti­ge Ent­wick­lung in Rich­tung Digi­ta­li­sie­rung. Das zeigt sich allein am Bei­spiel der digi­ta­len Metho­de „Buil­ding Infor­ma­ti­on Mode­ling“, kurz BIM. Auch Smart Com­mer­cial Buil­dings sind bei immer mehr Bau­her­ren gefragt.

Idea­ler­wei­se beinhal­ten sol­che smar­ten Bau­vor­ha­ben ein intel­li­gen­tes Zusam­men­spiel digi­ta­ler Lösun­gen, die den gesam­ten Lebens­zy­klus des Gebäu­des umfas­sen: begon­nen bei der Anwen­dung von BIM in der Pla­nung über 3D-Laser­scan­ning in der Aus­füh­rungs­pha­se bis zu Smart-Buil­ding- und Cyber-Secu­ri­ty-Kon­zep­ten für den spä­te­ren Betrieb, der auch die BIM-Daten der Pla­nung wie­der­um sinn­voll inte­griert. Das heißt, es geht um eine sinn­vol­le Ver­net­zung, die ein zweck­dien­li­ches und effi­zi­en­tes Zusam­men­spiel aller Pla­nungs-, Gebäu­de- und Nut­zer-Daten ermög­licht. Ein wei­te­rer Vor­teil: das Erken­nen und Gene­rie­ren von neu­en Geschäfts­mo­del­len anhand von Daten, Ana­ly­sen oder neu­en Anwen­dun­gen. Der Ansatz geht somit weit über das bis­he­ri­ge Pla­nen, Bau­en und dann Betrei­ben hin­aus.

Digi­ta­le Sta­gna­ti­on auf der Bau­stel­le – ana­lo­ge Pro­zes­se über­prü­fen

Aller­dings sta­gniert eine brei­te Anwen­dung der digi­ta­len Metho­den in der Bau­pra­xis vor allem im Bereich der Bau­aus­füh­rung. So sind trotz digi­ta­ler Anwen­dun­gen in der Pla­nungs­pha­se auf den meis­ten Bau­stel­len wei­ter­hin ver­al­te­te, inef­fi­zi­en­te Abläu­fe anzu­tref­fen. Und dann rei­chen schon weni­ge äuße­re Ein­flüs­se, um die posi­ti­ven Effek­te einer digi­ta­li­sier­ten Pla­nung zunich­te zu machen: Wenn bei­spiels­wei­se eine schlech­te Wit­te­rung den gesam­ten Bau­ab­lauf stoppt, dann bringt die bes­te digi­ta­le Tech­nik nichts. Was ana­log schei­tert, das ver­sagt auch digi­tal. Des­halb soll­te vor jeder digi­ta­len Maß­nah­me erst ein­mal die Pro­zess­qua­li­tät auf dem Prüf­stand ste­hen.

Am Bei­spiel der Wit­te­rung: Idea­ler­wei­se könn­ten vie­le Bau­tei­le wet­ter- und auch orts­un­ab­hän­gig in der Hal­le vor­ge­fer­tigt und dann Just-in-time zur Bau­stel­le gelie­fert wer­den. Die Vor­fer­ti­gung und Modu­la­ri­sie­rung zu erhö­hen, hät­te zudem posi­ti­ve Neben­ef­fek­te wie kür­ze­re Bau­zei­ten und höhe­re Qua­li­tä­ten. Indem sich ein gro­ßer Teil der Gebäu­de­er­stel­lung ins Werk ver­la­gert, wür­de sich auch die Suche nach aus­ge­bil­de­ten Fach­kräf­ten – zumin­dest teil­wei­se – ein­fa­cher dar­stel­len, da den Bau­ar­bei­tern hier ein gere­gel­ter, fami­li­en­freund­li­che­rer Arbeits­tag gebo­ten wer­den kann, sie also weni­ger „Wan­der-“ als „Mon­ta­ge­ar­bei­ter“ sind.

Kurz­um: Schlan­ke Pro­zes­se nach dem Vor­bild der Auto­mo­bil­in­dus­trie sind gefragt. Bei unse­ren Bau­vor­ha­ben arbei­ten wir des­halb mit der Metho­de des Lean Con­struc­tion Manage­ment. Dabei wird bereits in der Pla­nung der gesam­te Bau­pro­zess ana­ly­siert, um von Anfang an alle Arbeits­ab­läu­fe und den kom­plet­ten Mate­ri­al­fluss ziel­ge­rich­tet zu steu­ern.

Stan­dar­di­sier­te Pro­zes­se begüns­ti­gen neue Geschäfts­mo­del­le

Wenn Orga­ni­sa­ti­on und Abläu­fe stim­men, dann bie­tet die Digi­ta­li­sie­rung ein wun­der­ba­res Instru­men­ta­ri­um für die Pro­jekt­rea­li­sie­rung – und dabei viel­fäl­ti­ge Mög­lich­kei­ten, um stan­dar­di­sier­te Pro­zes­se zu digi­ta­li­sie­ren, mit­hil­fe künst­li­cher Intel­li­genz aus­zu­wer­ten und zu ver­bes­sern. In einem idea­len Zukunfts­sze­na­rio wür­de das so ablau­fen, dass die Gewer­ke durch­gän­gig in das BIM-Modell der Pla­nung ein­ge­bun­den sind, die Aus­schrei­bung hier­über erfolgt und die Daten hier­von – ohne die heu­te noch übli­chen, auf­wen­di­gen Zwi­schen­schrit­te – an die Fer­ti­gungs­ma­schi­nen über­mit­telt wer­den kön­nen. Die Ele­men­te wer­den anhand der Daten pro­du­ziert und dann punkt­ge­nau zur Bau­stel­le und zum Ein­bau­ort gelie­fert.

Zuge­ge­ben: In der brei­ten Anwen­dung ist das noch Zukunfts­mu­sik. Aller­dings gibt es immer mehr Play­er, die sich des­sen anneh­men. Was also zukünf­ti­ge Geschäfts­mo­del­le betrifft, wird es span­nend, weil durch die Digi­ta­li­sie­rung ganz neue Ansät­ze denk­bar sind.

Digi­ta­le Zukunft und „ana­lo­ges Fach­wis­sen“

Doch gleich­zei­tig gilt: Mehr Tech­nik im Gebäu­de ist kein Selbst­zweck. Smart, was im eigent­li­chen Wort­sinn ja klug bedeu­tet, kann es durch­aus auch sein, auf weni­ger High­tech zu set­zen. So pas­sen sich bei­spiels­wei­se his­to­ri­sche, auto­chtho­ne Gebäu­de ener­gie­ef­fi­zi­ent allein durch Kon­struk­ti­on und Mate­ri­al an die jewei­li­gen Kli­ma­be­din­gun­gen an, indem sie Wind, Regen, Käl­te oder Hit­ze abhal­ten bzw. Son­ne, Wär­me oder küh­le Luft ein­fan­gen sowie im Innern hal­ten. War­um soll­ten wir uns nicht ein Bei­spiel an der Bau­wei­se von Gebäu­den neh­men, die sich ohne jede Tech­nik über Jahr­hun­der­te hin­weg nach­hal­tig bewähr­ten? Die­ses ana­lo­ge Fach­wis­sen gilt es wei­ter­hin ein­zu­bin­den, wenn wir digi­ta­li­sier­te Immo­bi­li­en ent­wer­fen, um somit das Bes­te der ana­lo­gen und der digi­ta­len Welt zu ver­bin­den.

Der Autor Stef­fen Szeidl ist Vor­stands­mit­glied der Drees & Som­mer SE.