Planung und Prozesse
Building Information Modeling (BIM) gilt weltweit bereits als Standard in der Projektrealisierung. Die 3-D-Ansicht der Gebäude bis zur vielschichtigen Verknüpfung von Objektdaten und Prozessen macht das Bauen risikoärmer, reibungsloser und kann den späteren Betrieb und die Wartung maßgeblich unterstützen. Wird das Potenzial von BIM mit seinen parametrischen Möglichkeiten, also der automatischen Anpassung verknüpfter Daten bei Veränderung einer Komponente, voll ausgeschöpft, ist eine hocheffiziente Planungs- und Bauphase sichergestellt. Steffen Szeidl, Vorstand der Drees & Sommer SE, geht davon aus, dass BIM schon in den nächsten Jahren auch in Deutschland für alle Projektbeteiligten zum Standard wird. Als wesentliche Neuerungen im Planungsprozess sieht er vor allem neue Simulationsmethoden, „Virtual Reality“ (VR): „Es ist möglich geworden, ein noch nicht errichtetes Gebäude virtuell zu begehen, zum Beispiel am Monitor oder über eine 3-D-Brille.“So können nicht nur Fehlentwicklungen erkannt, sondern auch sinnliche Erfahrungen als Entscheidungsgrundlage genutzt werden: Mit neuen Werkzeugen wie sensitiven Handschuhen lassen sich Oberflächen abtasten und mit simulierten Schuhen kann man erleben, wie es sich anfühlt, 80-jährig und gebrechlich eine Türschwelle zu überwinden. „Damit kann sichergestellt werden, dass für die tatsächlichen Bedürfnisse der Nutzer gebaut wird“, so Szeidl.
Digitale Arbeitsweisen geben künftig auch auf der Baustelle den Takt vor. Themen wie „Lean-Management“, „Just-in-Time“-Lieferprozesse und die Hallenproduktion konfektionierter Bauteile spielen dabei eine entscheidende Rolle. Auf dieser Basis sieht Szeidl eine Verschmelzung der Gewerke voraus und eine Reduktion komplexer Abläufe auf einen einzigen Arbeitsgang: die Installation eines komprimiert ausgestatteten Fertigteils auf der Baustelle. „Statt heute 80 Prozent individueller Bauteile und 20 vorproduzierter, wird das Verhältnis sich künftig umkehren“, schätzt Szeidl. Mit immer ausgereifteren 3-D-Laser-Scannern können zudem Baufehler und -schäden früher aufgedeckt werden. Eine weitere Fertigungsmethode ist der 3-D-Druck von Gebäuden. Erstes Beispiel in Deutschland ist ein im September 2020 gestartetes Einfamilienhaus-Projekt im westfälischen Beckum.
Neue Materialien, Entwurfsverfahren und Konzepte
Der außergewöhnlichen Formgebung in der Architektur sind heute keine Grenzen gesetzt. Das gilt für die fließenden Gestalten einer Zaha Hadid ebenso wie für die gewagten Objekte eines Santiago Calatrava Valls.„Man kann eigentlich alles bauen“, so Prof. Gerd Jäger von Baumschlage Eberle Architekten Berlin. Die „Baubarkeit“ sei letztlich eine Frage der Kosten,besser: des Willens, so der Architekt. Mithilfe computergestützter Kalkulation, digitaler Konstruktionsmöglichkeiten und durch die effiziente Nutzung vorhandener Materialien ist es jedoch möglich, sehr viel differenzierter zu arbeiten als noch vor acht bis zehn Jahren. Kruno Stephan Thaleck, der mit seiner C3-Carbon Cement Composite GmbH und seinem innovativen CEton (Textilfaserbeton) etlichen Gebäuden von Zaha Hadid zur Umsetzung verholfen hat, arbeitet derzeit an einem Prototyp für eine Solar-Thermo-Gebäudehülle: „Zugunsten einer langfristigen autarken Energiegewinnung wird das anspruchsvolle Design mit technischem- und energiegekoppeltem Nutzen ausgestattet. Ziel muss sein, mit den besseren, aber teureren Neuentwicklungen andere Kostenpunkte im Projekt zu kompensieren.“
Größter Motor für Innovationen sind heute die wachsenden Anforderungen an die Nachhaltigkeit. Ob Energieeffizienz, Ressourcenschonung, ESG (Environment Social Governance), Emissionshandel oder europäischer Green Deal – das Thema wirkt sich auf alle Bereiche aus. Besonders wichtig ist dabei die Ressourcenschonung, die maßgeblich durch das Cradle to Cradle-Prinzip (C2C) repräsentiert wird, einen Ansatz, der für eine durchgängige Kreislaufwirtschaft steht. Ein Gebäude soll bis in seine Einzelteile zerlegt werden können, ummöglichst funktionsgleich wieder in einem Neubau eingesetzt zu werden. Voraussetzung dafür sind innovative Baustoffe, die sich aus ihrem Materialverbund herauslösen lassen. Bislang ist das jedoch nur in geringem Maße möglich.
Neue Produkte integrieren damit zunehmend Eigenschaften, die über ihre bauliche Funktion hinausgehen. Sie sollen z.B. biologisch abbaubar oder recylefähig sein, CO2-neutral, luftreinigend, energieerzeugend und langlebig. Dafür gibt es zahlreiche neue Entwicklungen wie etwa photokatalytische Baustoffe, die mit Lichtenergie unter anderem umweltschädliche Stickstoffoxide in unschädliche Verbindungen umwandeln können.
Für die Herstellung eines neuartigen ressourcenschonenden „Graphen-Betons“ wird nur etwa die Hälfte der üblichen Rohstoffmenge benötigt, zugleich soll er wärmeleitend, wasserresistent, langlebig und doppelt so tragfähig sein wie herkömmlicher Beton. Zu nennen sind auch Forschungsprojekte, die sich mit R-Beton (recylebarem Beton) sowie Leicht- und Infraleicht-Beton befassen oder mit neuartigem Faserbeton, an dem mit Algen experimentiert wird. Als natürlicher Baustoff wird Holz immer beliebter. „Kosteneffizienz ist bei Holz- wie Hybridbauweise möglich, wenn das Gebäude gut konzipiert ist, am besten mithilfe eines Holzbauingenieurs“, so Arnim Seidel vom Informationsdienst Holz. Orientierung bei der Auswahl nachhaltiger Produkte gibt der Building Material Scout (BMS). Die neue Online-Plattform erleichtert die Planung und weist Eignungen für Green-Building-Zertifizierungen aus.
Über „intelligente Planung“ lässt sich schon heute sehr nachhaltig bauen – und laut Prof. Gerd Jäger ohne zusätzliche Kosten. Ziel ist ein autark funktionierendes Gebäude, das fast ohne Technik auskommt und allein aufgrund seiner Bauweise eine Innenraum-Temperaturspanne von 22-26 Grad Celsius hält. Die technische Ausrüstung reduziert sich dabei von bis zu 40 auf nur mehr acht Prozent der Baukosten. Aktuell werden zwei weitere dieser „2226“-Bauten realisiert, etliche waren es schon zuvor, das erste 2013 als Bürohaus im Vorarlberger Lustenau, Österreich.
Zusammenfassend lässt sich festhalten, dass neue digitale Prozesse und maschinelle Arbeitsweisen bereits heute verfügbar sind oder es kurzfristig sein werden. Im Bereich Nachhaltigkeit hingegen sind viele Entwicklungen nicht absehbar oder erst in 20 bis 30 Jahren möglich, so vielleicht das Cradle-to-Cradle in seiner Reinform. Am Ende zählt die Marktfähigkeit jedes einzelnen Produkts. Große Chancen für ein wirtschaftliches und zugleich nachhaltiges Bauen scheinen optimierte Planungsprozesse und -konzepte zu bieten.
Unser Beitrag erschien auch in der Printausgabe des immobilienmanager 11-12/2020.