Zeitreise des Bauens

Bau- und Immobilienwirtschaft gelten eher als wenig innovativ. Doch das scheint sich zu ändern. Vom Aufbrechen einer Tradition.
Der Bei­trag erschien in der Jubiläumsausgabe zu 30 Jahre immo­bi­li­en­ma­na­ger vom Juni 2021.
© OLN für STRABAG Real Estate, Entwurf MHM
Nachhaltigkeit im Fokus: Auf dem ZÜBLIN-Campus in Stuttgart realisieren die STRABAG Real Estate als Projektentwicklerin und ZÜBLIN als Generalunternehmen gemeinsam für die STRABAG-Gruppe ein neues Konzern-Gebäude mit CO2-reduziertem Beton.

Im Vergleich zu anderen Branchen erscheint die Bau-und Immobilienwirtschaft kaum innovativ. Zwar haben sich über die Zeiten Materialqualitäten und Bauweisen gewandelt, doch größere Neuerungen sind nicht entstanden. „Seit den Römern hat sich bis auf die Gebäudetechnik wenig geändert, weil man in Gebäuden immer individuelle Einzelstücke gesehen hat“, bestätigt Professor Dr.-Ing. Hans Sommer, Vorsitzender des Aufsichtsrats von Drees & Sommer. Die Römer waren seinerzeit sogar weiter. „Der römische Architekt Vitruv hat bereits das Prinzip des modularen Bauens mit regionalen Anpassungen angewandt“, erläutert Sommer. Ein anderer Aspekt ist jedoch auch:„Immobilien sind, wie der Name schon sagt, immobil und werden für Jahrzehnte entwickelt. Man kann sie insofern nicht mit anderen, meist schnelllebigen Produkten wie aus der Automobilindustrie vergleichen“, findet Simone Walser, Head of Innovation Management der Strabag Real Estate (SRE). Für Simon Jagenow, Stabbereichsleiter Digitalisierung bei Züblin ist es das „Silo-Denken“, die traditionelle Segmentierung der Bereiche in Planung, Bauausführung, Gebäudebetrieb und Vermarktung, die den Fortschritt erschwere.

Stufen der Entwicklung

Bei der Bau-und Immobilienwirtschaft können in den letzten Jahrzehnten unterschiedliche Entwicklungsschritte festgestellt werden. Die Immobilienwirtschaft, letztlich aus der Bauwirtschaft hervorgegangen, hat spätestens seit Mitte der 90er Jahre eine starke Dynamik entfaltet. „Mit Beginn der Digitalisierung entstanden schon bald Online-Plattformen für An-und Verkauf, die eine nie dagewesene Transparenz in den Immobilienmarkt hineinbrachten“, erinnert sich Hans Sommer (Drees & Sommer). Durch eine zunehmende Vernetzung habe sich die Branche immer stärker internationalisiert und professionalisiert. In der Entwicklung des Bauens innerhalb der letzten 50 Jahre bis heute und in der Zukunft sieht er vier Stufen: Von den 60er bis zu den 80er Jahren schnell und günstig, ab den 90er Jahren standen moderne Arbeitswelten im Fokus, seit den 2000er Jahren die Energieeffizienz und bis 2030 wohl das Stoffrecycling.

Meilensteine und Innovationen

Größere Veränderungen, die schon heute erkennbar sind, beruhen auf den Möglichkeiten der Digitalisierung, wie das Building Information Modeling (BIM), Simulationstechnologien und Robotik oder neue Bauweisen wie 3-D-Druck. Dazu zählt auch die Entwicklung nachhaltiger Materialien und hoch automatisierter„Smart Buildings“. Angefangen hat diese Entwicklung bei den ersten CAD-Programmen für Architekten:„Es gibt durchaus wichtige Meilensteine der Innovation, die sich massiv auf das Bauen ausgewirkt haben“, stellt Simone Walser (SRE) fest, die den bahnbrechenden Umstieg von Papier auf Digitaltechnik in ihrer damaligen Tätigkeit als Architektin erlebte. Neben der fortschreitenden Digitalisierung des Bauprozesses findet heute auch eine zunehmende Industrialisierung der Gebäudeerstellung statt. „Hier geht man neue Wege, vor allem auch in der Planung. Durch Optimierung der Geometrie und die Modularisierung von Räumen und Bauelementen lässt sich die Komplexität auch von individuellen Gebäuden um bis zu 80 Prozent reduzieren“,erläutert Hans Sommer. „Individuelle Architektur wird wichtig bleiben. Aber individuelle Gebäude werden mitmöglichst vielen standardisierten Teilen geplant. Dazu gibt es einen Projektbaukasten, der viele Elemente aus einem generellen Baukasten enthält. So kann man auch individuelle Gebäude wirtschaftlich und ganz oder teilweise mit industrieller Vorfertigung erstellen.“

Projekte statt Prozesse

Für das modulare Bauen ist deshalb ein „Kulturwechsel“notwendig. Professor Christoph M. Achammer, CEO von ATP architekten ingenieure, schreibt dazu 2019 in der DBZ: „Seit jeher denken wir in Projekten statt in Prozessen. Doch das modulare Bauen zwingt uns mehr denn je, diese Denkweise radikal zu hinterfragen. Und das ist gut so.“ Simon Jagenow (Züblin) erklärt: „Das Problem liegt indem vermeintlichen Prozessmodell hinter der HOAI, da es zu diesen Anforderungen nicht passt. Es ist noch immer zu viel Chronologie im Bauprozess.“ Vielmehr gehe es darum, integraler und simultaner zu arbeiten. Das heißt für ihn konkret, Baufirmen und deren Fachplaner frühzeitig einzubinden, parametrisch zu planen, Prozesse digital zu steuern und die Logistik zu optimieren. Virtuelle Begehungen mit dem Nutzer böten ebenfalls die Chance, das Gebäude „von vorherein so zu optimieren, wie es gebraucht wird“.

Aspekte der Nachhaltigkeit

Heute treiben die Entwicklung vor allem Aspekte der Nachhaltigkeit an–eine Reaktion auf politische Erwartungen. Zunehmend wichtig werden Materialreinheit und Gesundheit (Verzicht auf Verbundstoffe), ein kostengünstiger Gebäudebetrieb sowie die Kreislaufwirtschaft, Cradle to Cradle (C2C). Beispiele dafür sind Smart Buildings oder Smart Citys. Hans Sommer sieht darüber hinaus neue Geschäftsmodelle entstehen, etwa Anbieter von„Smart Contracts“, durch die beispielsweise Strom oder Wärme gemeinschaftlich zu günstigen Preisen eingekauft werden kann.

Innovation bei Baustoffen und Verfahren

In die Entwicklung neuer wie umweltschonender Baustoffe wird aufwendig investiert. Holzbau, Hybridbauweisen oder die Entwicklung von CO2-reduziertem Beton liegen im Trend. „Wir realisieren gerade gemeinsam mit Züblin in Stuttgart ein Konzerngebäude mit CO2-reduziertem Beton sowie ein Neubauprojekt in Holzhybrid-Bauweise in Hannover“, berichtet Walser(SRE). Auch mit 3-D-Druck wird intensiv experimentiert. Der erste deutsche Prototyp ist 2020 auf den Markt gekommen, ein Einfamilienhaus in Beckum. Esstammt von Mense–Korte ingenieure +architekten. Wohnanlagen mit ca. 10-12 Einheiten je Objekt sollen damit realisierbar sein. Auch Züblin forscht derzeit an der Technologie, um sie für die Herstellung von Wandmodulen einzusetzen.

Weitere Neuerungen entwickeln sich in der Gebäudeautomation. Sommer berichtet, dass in Bürogebäuden eine komplette Nachverfolgung der Nutzer bis zur Gesichtserkennung möglich sei. Doch das geht manchem zu weit. „Es ist deshalb wichtiger denn je, den Nutzer der Immobilie entsprechend zu beraten und im Vorfeld seinen Bedarf präzise zu erfassen.“ Umgekehrt gibt es derzeit auch den Trend, ohne digitale und ausgeklügelte Technik auszukommen, wie bei Gebäuden von Baumschlager Eberle Architekten.

Fazit

Die Zukunft des Bauens ist in vielen Entwicklungen bereits heute sichtbar. Es scheint, als erlebe die Bauwirtschaft eine Art „digitale Industrialisierung“ .Zumindest zeigt sich eine starke Innovationskraft in der Gebäudeerstellung, bei der die Ökonomie nicht mehr allein im Vordergrund steht. Mit guten Renditen aus der Projektentwicklung scheint das nicht leicht vereinbar. Formuliert wird deshalb der Anspruch, beides miteinander zu verbinden, auf industrielle Verfahren zu setzen und Technologie offen zu bleiben.

Die Jubiläumsausgabe des „immobilienmanager“ vom Juni 21 reflektiert die Historie der Bau- und Immobilienwirtschaft. War sie innovativ? Was bringt die Zukunft? Professor Hans Sommer (Drees & Sommer) gibt erste Einblicke in eine besondere Ausgabe. - Das Interview erschien zuerst auf "immobilienmanager.de".