Was die Zukunft der Bau- und Immobilienwirtschaft betrifft, sind sich alle Branchenteilnehmer einig: Sie ist vor allem digital. Kritiker bemängeln jedoch, dass in der heutigen Realität die meisten Bauprojekte so analog wie eh und je ablaufen. Daher lohnt es sich zunächst zu hinterfragen, was hinter dieser Wahrnehmung des digitalen Stillstands steht und inwieweit er überhaupt zutrifft.
Smarte Bauvorhaben – den Lebenszyklus im Blick
Grob gliedert sich ein Bauvorhaben in drei Phasen – Planung, Bau und Betrieb. Insbesondere in der Planung gibt es eine gewaltige Entwicklung in Richtung Digitalisierung. Das zeigt sich allein am Beispiel der digitalen Methode „Building Information Modeling“, kurz BIM. Auch Smart Commercial Buildings sind bei immer mehr Bauherren gefragt.
Idealerweise beinhalten solche smarten Bauvorhaben ein intelligentes Zusammenspiel digitaler Lösungen, die den gesamten Lebenszyklus des Gebäudes umfassen: begonnen bei der Anwendung von BIM in der Planung über 3D-Laserscanning in der Ausführungsphase bis zu Smart-Building- und Cyber-Security-Konzepten für den späteren Betrieb, der auch die BIM-Daten der Planung wiederum sinnvoll integriert. Das heißt, es geht um eine sinnvolle Vernetzung, die ein zweckdienliches und effizientes Zusammenspiel aller Planungs-, Gebäude- und Nutzer-Daten ermöglicht. Ein weiterer Vorteil: das Erkennen und Generieren von neuen Geschäftsmodellen anhand von Daten, Analysen oder neuen Anwendungen. Der Ansatz geht somit weit über das bisherige Planen, Bauen und dann Betreiben hinaus.
Digitale Stagnation auf der Baustelle – analoge Prozesse überprüfen
Allerdings stagniert eine breite Anwendung der digitalen Methoden in der Baupraxis vor allem im Bereich der Bauausführung. So sind trotz digitaler Anwendungen in der Planungsphase auf den meisten Baustellen weiterhin veraltete, ineffiziente Abläufe anzutreffen. Und dann reichen schon wenige äußere Einflüsse, um die positiven Effekte einer digitalisierten Planung zunichte zu machen: Wenn beispielsweise eine schlechte Witterung den gesamten Bauablauf stoppt, dann bringt die beste digitale Technik nichts. Was analog scheitert, das versagt auch digital. Deshalb sollte vor jeder digitalen Maßnahme erst einmal die Prozessqualität auf dem Prüfstand stehen.
Am Beispiel der Witterung: Idealerweise könnten viele Bauteile wetter- und auch ortsunabhängig in der Halle vorgefertigt und dann Just-in-time zur Baustelle geliefert werden. Die Vorfertigung und Modularisierung zu erhöhen, hätte zudem positive Nebeneffekte wie kürzere Bauzeiten und höhere Qualitäten. Indem sich ein großer Teil der Gebäudeerstellung ins Werk verlagert, würde sich auch die Suche nach ausgebildeten Fachkräften – zumindest teilweise – einfacher darstellen, da den Bauarbeitern hier ein geregelter, familienfreundlicherer Arbeitstag geboten werden kann, sie also weniger „Wander-“ als „Montagearbeiter“ sind.
Kurzum: Schlanke Prozesse nach dem Vorbild der Automobilindustrie sind gefragt. Bei unseren Bauvorhaben arbeiten wir deshalb mit der Methode des Lean Construction Management. Dabei wird bereits in der Planung der gesamte Bauprozess analysiert, um von Anfang an alle Arbeitsabläufe und den kompletten Materialfluss zielgerichtet zu steuern.
Standardisierte Prozesse begünstigen neue Geschäftsmodelle
Wenn Organisation und Abläufe stimmen, dann bietet die Digitalisierung ein wunderbares Instrumentarium für die Projektrealisierung – und dabei vielfältige Möglichkeiten, um standardisierte Prozesse zu digitalisieren, mithilfe künstlicher Intelligenz auszuwerten und zu verbessern. In einem idealen Zukunftsszenario würde das so ablaufen, dass die Gewerke durchgängig in das BIM-Modell der Planung eingebunden sind, die Ausschreibung hierüber erfolgt und die Daten hiervon – ohne die heute noch üblichen, aufwendigen Zwischenschritte – an die Fertigungsmaschinen übermittelt werden können. Die Elemente werden anhand der Daten produziert und dann punktgenau zur Baustelle und zum Einbauort geliefert.
Zugegeben: In der breiten Anwendung ist das noch Zukunftsmusik. Allerdings gibt es immer mehr Player, die sich dessen annehmen. Was also zukünftige Geschäftsmodelle betrifft, wird es spannend, weil durch die Digitalisierung ganz neue Ansätze denkbar sind.
Digitale Zukunft und „analoges Fachwissen“
Doch gleichzeitig gilt: Mehr Technik im Gebäude ist kein Selbstzweck. Smart, was im eigentlichen Wortsinn ja klug bedeutet, kann es durchaus auch sein, auf weniger Hightech zu setzen. So passen sich beispielsweise historische, autochthone Gebäude energieeffizient allein durch Konstruktion und Material an die jeweiligen Klimabedingungen an, indem sie Wind, Regen, Kälte oder Hitze abhalten bzw. Sonne, Wärme oder kühle Luft einfangen sowie im Innern halten. Warum sollten wir uns nicht ein Beispiel an der Bauweise von Gebäuden nehmen, die sich ohne jede Technik über Jahrhunderte hinweg nachhaltig bewährten? Dieses analoge Fachwissen gilt es weiterhin einzubinden, wenn wir digitalisierte Immobilien entwerfen, um somit das Beste der analogen und der digitalen Welt zu verbinden.
Der Autor Steffen Szeidl ist Vorstandsmitglied der Drees & Sommer SE.